Sächsische Zeitung | 10. Okt. 2016

Völlig losgelöst

Von Maik Schwert

Die Fortuna-Fußballerinnen können ihr Glück kaum fassen – trotz der deutlichen Niederlage gegen den VfL Wolfsburg.

Die Parkplätze im Ostragehege sind so voll wie bei den Duellen der Dresdner Eislöwen und die Schlangen an den Tageskassen des Heinz-Steyer-Stadions so lang wie bei den Partien der Dresden Monarchs. Aber an diesem Sonnabend spielen weder die zweitklassigen Eishockeyprofis noch die erstklassigen American Footballer, sondern die drittklassigen Fußballerinnen vom 1. FFC Fortuna Dresden – in der 2. Runde des DFB-Pokals gegen den VfL Wolfsburg, einen erstklassigen Gegner.

Natürlich hängt das erhöhte Menschen- und Verkehrsaufkommen an diesem Tag auch mit dem Ende des Oktoberfestes und dem Anfang des Rummels zusammen. Im Hintergrund dreht sich das Riesenrad. Doch 1 052 Zuschauer füllen die mit einem Kran verzierte Stadionbaustelle. Dazu gesellen sich Zaungäste. Als der Sprecher die offizielle Zahl bekannt gibt, applaudieren die Fans. Sie feiern sich und einen außergewöhnlichen Tag für den Frauenfußball in dieser Stadt. Erstmals spielt ein Klub vor mehr als 1 000 zahlenden Gästen.

Es gibt Einlaufkinder und ein Programmheft zu diesem besonderen Kick. Beide Mannschaften machen sich heiß im Kreis. Für den Titelverteidiger aus Niedersachsen „ist das üblich“, sagt Erfolgstrainer Ralf Kellermann. Er staunt dennoch über die Kulisse: „Es ist mehr als erwartet, macht dann auch größeren Spaß und ist eine extra Motivation.“ Kellermann lobt die Gastgeber: „Sie haben das perfekt organisiert. Wir sind sehr herzlich aufgenommen worden. Das ist nicht immer selbstverständlich. So werben wir für den Frauenfußball.“ Er sieht auch kaum Unterschiede zum mit 3:0 gewonnenen Champions-League-Gastspiel beim FC Chelsea am vergangenen Mittwoch. „Bloß der Weg vom Maritim-Hotel zur Spielstätte war deutlich kürzer als in London zur Stamford Bridge.“

Für die Gastgeberinnen bleibt es ein „Erlebnis“, sagt deren Spielführerin Doreen Gloge. Es ist der Begriff, der am häufigsten fällt. Davon zehren sie noch eine Weile. Gloge sieht in dem ungleichen Duell als Einzige die Gelbe Karte und verbucht das 0:9 als Erfolg: „Wir haben zusammengehalten, alles reingeschmissen, uns dadurch so wenig Gegentore wie möglich eingefangen und nicht zweistellig verloren. Wir müssen realistisch bleiben. Der VfL spielt athletischer und mit einem anderen Tempo. Es ist schön, dass trotz des miesen Wetters so viele Leute gekommen sind.“

Es duftet nach Bratwurst und Glühwein. Auf den Tribünen sitzen und stehen Menschen mit Jacken und Mützen diverser Klubs aus Stadt und Land: Dynamo, Soccer for Kids, SV Sachsenwerk und SG Weißig, Radebeuler BC, SV Reichenbach, TV Vater Jahn Burgstädt und FSV Grün-Weiß Stadtroda. Mutzschen und die Sörnewitzer Jungs grüßen per Banner. Die Zuschauer spenden Beifall für jede gelungene Aktion der Außenseiterinnen – egal, ob Befreiungsschlag aus der Abwehr, Doppelpass oder Parade. „Wolfsburg ist kaputt“, singen sie, als mal 20 Minuten kein Treffer fällt.

Torhüterinnen stehen im Blickpunkt

Die Torhüterinnen sorgen dafür, dass es einstellig bleibt – Svantje Hagemann in Halbzeit eins und Florentine Rudloff in Hälfte zwei. „Ich wollte beide halten lassen“, sagt Trainer Andreas Pach. „Es war klar, dass sie im Blickpunkt stehen. Beide haben 100-prozentige Chancen verhindert. Ein großes Kompliment an sie und die Mannschaft, die alles abgerufen hat, was in ihr steckt und das entgegengesetzt hat, was sie kann.“ Für den VfL sei es ein gutes Training gewesen. „Für uns war es der Höhepunkt, den ich vollkommen losgelöst vom Alltag betrachte. Wir haben gesehen, was möglich ist. Das ist ein Anreiz für uns alle. Jetzt können wir uns wieder der Regionalliga widmen.“ Da geht es am 23. Oktober beim FC Viktoria 1889 Berlin weiter.

Wolfsburg spielt bereits am Mittwoch erneut in der europäischen Eliteliga und wie beim DFB-Pokal um den Einzug ins Achtelfinale. „Dennoch haben wir diese Partie sehr ernst genommen“, sagt Kellermann. Als bestes Beispiel dient ihm dafür Anja Mittag. Die gebürtige Karl-Marx-Städterin ist eine von zwei Olympiasiegerinnen in der Startelf. Die andere heißt Babett Peter, kommt aus Oschatz und trägt die Kapitänsbinde. Die sächsischen Auswahlkickerinnen sind auch die, die die meisten Autogramm- und Fotowünsche erfüllen müssen. „Fair, freundlich, friedlich“ nennt Mittag ihr Heimspiel, in dem sie dreimal trifft. „Meine Familie war da.“

Das ist auch gut so, denn für einen Abstecher nach Chemnitz bleibt keine Zeit. Am Sonntag bittet Kellermann sie schon wieder zum Training. Welten trennen Fortuna von diesen Profiverhältnissen. Dem Trainer helfen drei Assistenten, darunter die bekannten ehemaligen Nationalspielerinnen Britta Carlson und Ariane Hingst, drei Physiotherapeuten, zwei Betreuer und ein Torwartcoach. Von einem solchen Team hinter dem Team kann Pach nur träumen. Er macht beinahe alles allein.

 

Quelle: sz-online.de (Sächsische Zeitung, 10.10.16)

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