Sächsische Zeitung | 04. Jan 2016

Mama, die Fußballerin

Neuzugang Jessica Schleusing meistert beim Fußball-Drittligisten 1. FFC Fortuna Dresden einen nicht alltäglichen Spagat.

Foto: Schuster (FFC)

Von Alexander Hiller

Auf der Trainerbank des 1. FFC Fortuna Dresden spielen sich hin und wieder absurde Szenen ab. Da gibt eine Dreijährige den Ton an. In bunten Klamotten. Und dann rennt sie einfach los, in Richtung Rasen. Streckt die Arme aus und schreit: „Mamaaaaa!“ Mit Mühe und Not fängt Trainer Andreas Pach oder einer seiner Assistenten das kleine Energiebündel noch vor der Seitenlinie ab. Meistens. Lynn-Tayler darf sich solche Dinge erlauben. Gewissermaßen als eine Art Maskottchen.

Die Kleine mit ihren lustig wippenden Zöpfen kennt in solchen Situationen nur ein Ziel: ihre Mama Jessica Schleusing. Die spielt aber auch ganz gerne mal Fußball. Wenigstens 90 Minuten ohne Kind. Kostbare Zeit. „Da bin ich mal allein für mich, kann ganz vom Alltag abschalten“, sagt Schleusing. Stimmt zwar nur halb, aber ihre Mitspielerinnen wollen weder getragen noch bespielt werden – nur hin und wieder mal den Ball an eine ihrer Besten abgeben. Jessica Schleusing ist nach ihrem Wechsel vom Regionalligisten Eintracht Leipzig-Süd zum Ligarivalen 1. FFC Fortuna Dresden sofort in eine Führungsrolle geschlüpft. Und das, obwohl sie derzeit die einzige Mama im Team des Tabellenfünften der dritthöchsten Spielklasse ist.

Und das ist nicht die einzige Tatsache, die Jessica Schleusing eine Sonderrolle beim 1. FFC Fortuna einnehmen lässt. Wahrscheinlich absolviert die 26-Jährige auch in einer Woche die meisten Fahrkilometer. Denn die ehemalige Zweitligakickerin wohnt in Zwickau, absolviert derzeit eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in Altenburg und spielt in Dresden Fußball. Um 5 Uhr beginnt bei Jessica Schleusing jeder normale Arbeitstag. Knapp 500 Kilometer spult sie so in der Woche mindestens ab.

Nur einmal Training möglich

Dazu kümmert sie sich rührend um ihre beiden Kinder: Lynn-Tayler und deren neunjährigen Bruder Noel-Lenox. Mit dem teilt sie die Leidenschaft für Fußball. Noel-Lenox kickt für den FSV Zwickau in der F1-Jugend. Dort halten sie den kleinen blonden Steppke mit den neugierigen Augen für ein begnadetes Talent. Zur Familie gehört außerdem noch die französische Bulldogge Bonnie.

Wie schafft Schleusing das bloß alles? Zumal sie alleinerziehend ist. Die Beziehungen mit den beiden Vätern ihrer Kinder scheiterten. „Aber wir sind nach wie vor gut befreundet. Das ist mir sehr wichtig. Oftmals springen die Papas zur Betreuung ein“, sagt sie. Denn auf ihre große Leidenschaft Fußball mag sie nicht verzichten, auch wenn sie dafür Abstriche in Kauf nehmen muss. Meist schafft sie es nur einmal pro Woche zum Training nach Dresden. Auf Kosten ihrer Kondition. „Wenn mir die Zeit fehlt, zum Training zu fahren, habe ich auch daheim keine Zeit dafür, in Eigenregie etwas für mich zu machen“, verdeutlicht sie.

Wer wissen mag, was oder wer die gelernte Kindererzieherin antreibt, muss sich nur ihren linken Unterarm anschauen. Da steht auf Lateinisch: „All meinen Besitz trage ich bei mir.“ Also im Herzen. Ihre Familie gehört dazu. „Jeder Mensch, der mir nahesteht, steht als Name auf meinem Körper“, sagt sie. Und der Fußball hat einen festen Platz in ihrem Herzen. „Ich würde alles dafür geben, beides unter einen Hut zu bringen“, bekräftigt sie.

Dennoch hat sie sich die zusätzliche Fahrerei nach Dresden aufgebürdet. „Ich wollte schon vor fünf Jahren zu Fortuna wechseln, da wollte mein damaliger Partner nicht mit“, sagt sie. Aber seither besteht ein enges Band nach Dresden. „Die Kontakte zu den Mädels bestehen schon lange“, betätigt Jessica Schleusing. „Das“, sagt sie und meint ihren neuen Verein, „ist hier wie in einer Familie. Egal, mit welchem Problem du ankommst, hier wird jeder wertgeschätzt. Das gab es nicht überall“, sagt Schleusing. Sie muss es wissen, bereits achtmal wechselte sie den Verein.

Dass die vielleicht beste Tempodribblerin der Regionalliga Nordost demnächst wieder einen neuen Klub sucht, ist derzeit nahezu ausgeschlossen. Denn die Anerkennung für Neuzugang Jessica Schleusing endet bei Fortuna nicht bei der Aufwandsentschädigung für die fußballbedingten Fahrtkilometer. „Sie ist auch außerhalb des Platzes eines enorme Persönlichkeit“, schätzt Andreas Pach ein, „weil sie es vormacht, wie man sein Leben strukturiert und man trotzdem seinem Hobby mit großer Leidenschaft nachgehen kann“, sagt er und will das durchaus auch als Kritik an einige Teamkolleginnen verstanden wissen – ohne Namen zu nennen. Schleusing genieße daher auch einige Freiheiten. Wie zum Beispiel ihr Töchterchen Lynn-Tayler während des Punktspiels vom Trainerstab betreuen zu lassen. „Sie bringt ja trotzdem ihre Leistung“, befindet der Trainer. Sechs Saisontore und noch mehr Torvorlagen zeugen eindrucksvoll vom Repertoire der vielseitig einsetzbaren Offensivspielerin.

2. Liga nur mit Fortuna

Dass es dennoch Reserven gibt, deutet schon der minimale Trainingsaufwand an. „Ich helfe und spiele da, wo ich kann. Aber ich spüre schon, dass mir der Mehraufwand im Training manchmal fehlt. Meistens“, gesteht sie lachend, „kann ich schon nach 40 Minuten nicht mehr.“ Aber für den nächsten Sprint mit oder ohne Ball reicht es dann doch. Und für den nächsten und den nächsten. Dass ihr eine größere Fußballkarriere entgangen sei, auch wegen der Kinder, glaubt Jessica Schleusing nicht. „Darüber denke ich gar nicht nach“, versichert sie glaubhaft. Und wenn es doch noch einmal eine Etage höher gehen sollte, „dann wird das nur mit diesem Team“, sagt sie. Mit dem 1. FFC Fortuna Dresden. Ihrer neuen sportlichen Familie. Die ihre kleine eigene Familie so herzlich aufgenommen, integriert und akzeptiert hat.

Quelle: sz-online.de (Sächsische Zeitung, 04.01.2016)

Zurück