Sächsische Zeitung | 22. Mrz. 2016

Die Neue aus der Schießbude

Svantje Hagemann kommt als eine der besten Torhüterinnen der Liga zum Regionalligisten Fortuna. Die Statistik bestätigt das nicht.

Foto: Schuster (FFC)

Von Alexander Hiller

Eine erstklassige Empfehlung klingt irgendwie anders. Souveräner. Mit 49 Gegentreffern aus 13 Spielen heuerte Svantje Hagemann als neue Torfrau beim Fußball-Regionalligisten 1. FFC Fortuna Dresden an. Diese Bilanz fing sich die 18-Jährige beim Regionalliga-Schlusslicht 1. FC Neubrandenburg ein – als Kapitän. Gewissermaßen in der Schießbude der Liga. Was freilich nicht an der Qualität von Svantje Hagemann liegt. „Das fühlt sich schon blöd an, wenn du in jedem Spiel drei oder vier Gegentore bekommst. Das ist demütigend. Es gab schon Tage, an denen ich keinen Bock mehr hatte. Aber ich holte mir das Selbstvertrauen im Training zurück.“

Die hoch aufgeschossene Torfrau gehört wohl unumstritten zu den besten Keeperinnen der dritthöchsten Spielklasse. „Bei jedem Spiel der Neubrandenburgerinnen wurde Svantje als diejenige Person genannt, die die Niederlage noch im Rahmen gehalten hat“, sagt Fortunas Sportdirektor Roland Hönisch, der zugleich Torwart-Trainer beim Staffel-Siebenten ist. Auch im ersten Pflichtspiel für ihren neuen Verein ist die neue Schlussfrau der Dresdnerinnen am Sonntag machtlos gegen die 1:2-Heimniederlage gegen den FFV Leipzig II. Es gibt glücklichere Premieren. Zumal sie sich nach einem Zusammenprall noch eine Schädelprellung zuzog, nach der Partie in die Notaufnahme musste. „Es geht mir wieder gut“, gibt sie Entwarnung.

Die Familie steht auf dem Unterarm

Doch den Wechsel nach Dresden in der Winterpause hat Svantje Hagemann ohnehin nicht deskurzfristigen Erfolges wegen gewagt. „Ich wollte einfach den nächsten Schritt in meiner Fußball-Karriere machen, mich weiter entwickeln“, sagt sie. In ihrem Heimatverein schien das nicht möglich. „Meine Familie weiß, was Fußball für mich bedeutet. Die stehen voll hinter mir. Die finden es gut, dass ich meinen Weg gehe“, sagt sie. Auf ihrem linken Unterarm ist diese Unterstützung für die Ewigkeit festgehalten. „Family is my strength“ steht da. Diese Stärke kann sie gut gebrauchen.

Hagemann ist die erste Spielerin, die nur der fußballerischen Entwicklungsmöglichkeiten wegen von jenseits der Landesgrenzen zum 1. FFC Fortuna stößt. Vielleicht darf das von Trainer Andreas Pach auch als Anzeichen einer überregionalen Strahlkraft im überschaubaren Kosmos des Frauenfußballs gewertet werden. Hagemanns Wechsel ist wohl auch ein Versprechen an die Zukunft. „Denn“, so sagt sie, „ich will mal in der 2. Bundesliga halten.“

Mit Hagemann steht nun eine echte Type zwischen den Pfosten. Eine, die geradeheraus ist. Die offen homosexuell lebt und darüber so entwaffnend unaufgeregt redet wie über Schulaufgaben. Eine Torfrau, die nicht nur äußerlich neugierige Blicke auf sich zieht, sondern deren Talent vor drei Jahren auch schon dem DFB aufgefallen ist. Doch zu mehr als zwei Sichtungs-Einladungen für die deutsche U-16-Auswahl langte es bisher nicht. „Ich wurde in Neubrandenburg damals auf dieser individuellen Position nicht gefördert. Allein packt man das nicht.“ In Dresden verspricht sich die Norddeutsche, die bei ihren Großeltern aufgewachsen ist, vor allem in dieser Hinsicht einen großen Sprung. Sollte der gelingen, könnte Hagemann das Gesicht der Fortuna-Elf und die schleichende Weiterentwicklung des Vereins über mehrere Jahre hinweg mitprägen.

Denn die Torfrau lebt und atmet Fußball – seit sie vier Jahre alt ist. Und sie geht dafür Risiken ein – wie den Wechsel nach Dresden. Nach dem Realschulabschluss beginnt sie eine Ausbildung als Kauffrau für Büromanagement beim AWO-Sozialdienst in Rostock. Diese Berufsausbildung bricht sie für den sportlichen Umzug nach Sachsen ab.

Durchaus nicht ohne Risiko – im weitgehend gehaltsfreien Frauenfußball-Drittligaalltag. Solche Neuanfänge spornen Hagemanns Tatendrang aber eher noch an. Sie wohnt derzeit mit Fortuna-Mittelfeldspielerin Linda Ottlinger in einer WG, hält sich mit Kurzzeitjobs finanziell über Wasser, denn am 8. August beginnt sie bereits eine Ausbildung zur Sozialassistentin an der Akademie für berufliche Bildung (AFBB). Berufliche Absicherung im Frauenfußball ist ein Muss. Später, sagt sie, möchte sie als Erzieherin arbeiten, vielleicht den Trainerschein machen, einen Torwarttrainer-Schein hat sie schon.

Andere Anfragen abgelehnt

Fühlt sich das Torwart-Talent nicht den-noch so, als hätte es in Neubrandenburg ein sinkendes Schiffverlassen? Mit drei mageren Punkten und 6:57Toren ziert ihr Ex-Verein das Tabellenende der Regionalliga Nordost. „Theoretisch fühlt sich das schon so an“, gibt Hagemann zu. „Aber es soll nicht so wirken, dass ich gegangen sei, weil Neubrandenburg eventuell absteigt. „Wenn die Anfrage aus Dresden nicht gekommen wäre, wäre ich dageblieben. Aber ich bin jetzt 18 und möchte gern mal 2. Bundesliga spielen. Da muss man irgendwann die Initiative ergreifen.“

Andere Anfragen von Regionalliga-Kontrahenten aus Marzahn und Aue lehnt sie ab. Es muss Fortuna sein. Denn dort menschelt es für den Neuankömmling am meisten. „Ich will mich in Dresden fußballerisch entwickeln und vielleicht nicht immer gegen den Abstieg spielen“, sagt sie. „Vielleicht gehen wir auch mal den Sprung nach oben an. In ein oder zwei Jahren. Wir haben eine sehr gute Mannschaft und auch das Drumherum stimmt“, meint die Ballfängerin. Hagemann spricht über Fortuna – obwohl erst seit wenigen Wochen in Dresden – schon leidenschaftlich in der Wir-Form. „Ich fühle mich gebraucht, geachtet, akzeptiert. Ein schönes Gefühl.“

Damit lässt sich auch viel leichter an den eigenen Schwächen arbeiten. Über die Svantje Hagemann erfrischend offen spricht. „Bei flachen Abschlägen habe ich so meine Probleme in der Schlagtechnik. Das will ich mit Roland gern noch ausmerzen. Es bringt ja nichts, wenn ich damit nur 20 Meter weit komme“, erklärt sie lächelnd. Nun muss sie also nur noch lernen, ihre neuen Kolleginnen lautstark an- und auch mal zurechtzuweisen. Denn Svantje Hagemann würde sicher gerne auch mal zu null halten. Das Können dafür besitzt sie schon längst.

Quelle: sz-online.de (Sächsische Zeitung, 22.03.2016, S. 10)

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